scheitern(hoch)x


gedanken aus der hocke

was meint man, wenn man sagt: in jedem scheitern steckt
auch eine chance?
 

nachts um halb drei kann nur noch zwischen katastrophen-schleifen, callcentersex oder last-minute-paradiesen gewählt werden. wer noch nicht erschöpft ist, zappt sich durch späte fernsehkanäle und verpixelt stur seine nacht.
 

unsichtbar werden oder lieber davonlaufen. es gibt so viele menschen, denen man ihre einsamkeit gar nicht mehr ansieht. sie lächeln zu viel.
 

Pascal soll, als er in Port Royal an seinen Pensées schrieb, um sich herum ständig einen schutzwall aus büchern und stühlen errichtet haben. so stark muss seine angst vor einem heillosen abgrund gewesen sein.
 

man beobachtet menschen in der u-bahn, die einem fremd bleiben, und darf ihnen nicht zu lange in die augen schauen, sonst werden sie nervös und beobachten fragend zurück. im schlimmsten fall ist eine ausführliche lebensgeschichte zu befürchten. eine geschichte, die ein einziger vorwurf sein wird.
 

die sichere vagheit eines ich. und die unscharfe klarheit eines nicht-ich. sich selbst überlassen auf einer party oder sich nicht überlassen auf einer ganz anderen party, in einer stets eigenen gelassenheit.
 

das scheitern als wahn der erfolglosen.
einen menschen erkennt man erst, wenn er vor einem abgrund steht, also in dem moment, wenn er macht erhält.
 

es gibt tage, an denen das ego in jede falle tappt, alles falsch anpackt und aus jeder pleite gestärkt hervorgeht. es ist dann ein clown, das ein publikum zum lachen bringen muss.
 

"Erfolgreich scheitern - vom Können zur Meisterschaft"
wer in einem schiffbruch einen gleichfalls gewinn sieht, kann nur ein unternehmensberater sein.
 

transzendente enge: ob man ein halb volles oder halb leeres glas in den händen hält, ist eigentlich egal. es ist auf jeden fall zu viel oder zu wenig.
 

"selbst wenn sich einer fände, der in einer stunde mehr zu ahnen vermöge, als andere in einem ganzen leben, dürfte er sich damit nicht zufriedengeben. er müsste es lernen, seine ahnungen, auch die, die er am meisten liebte, zu verwerfen
und ganz unerhört zu finden, die ihn noch bedrohen."
Elias Canetti
 

der hang zum detail, der blick nach dem stolperstein. ein routinierter mensch ist zur harmlosigkeit verdammt und will nicht harmlos sein. er sucht nach verborgenen problemen und denkt sich seine tragik gross.
 

Henri Michaux: wem das scheitern zu einer notwendigkeit wird, der muss unaufhörlich gründe für seine niederlagen finden, der kann nicht direktemang scheitern. er braucht für sein scheitern eine Titanic.
 

spricht jemand über seine niederlagen, um zu behaupten, er habe aus ihnen einträgliche konsequenzen gezogen, erweckt er schnell den eindruck, dass er in eine fremde sprache spricht.
 

wie oft wartet das ego als wortakrobat auf einen einfall, auf eine zündende idee, welche den eigenen sätzen einen sinn verleiht. doch man schreibt weiter. immer weiter.
 

kein verdruss ohne mangel, kein verdruss ohne genuss.
von niederlagen lernen, dass zu wenig von ihnen zu lernen ist. so macht schaden manchmal klug.
 

dieweil sich lebensansprüche unentwegt toppen und poppen lassen, scheinen viele vorstellungen von krisen völlig überholt zu sein. man kann mit tatsächlichen niederlagen zunehmend weniger anfangen, man muss sie fiktionalisieren.
 

an seinem stil feilen und sätze formulieren wie Flaubert, der seine manuskripte in die natur geschrien hat, um zu prüfen, ob sie stimmig klingen. oder so feinfühlig und eindeutig schreiben wie Rousseau, der achtzehn stunden täglich an seiner nouvelle Héloise gearbeitet haben soll. doch wozu all dieser aufwand? hält man zu beharrlich an einer anstrengund fest, bleibt einem irgendwann nur noch der übermut der zerstörung.
 

den erfolg als einen gradmesser für sein handeln akzeptieren, das bedeutet wohl, letztendlich die freude am unlösbaren auf die spitze zu treiben.
 

Breton: alles, was im grossen und kleinen geschieht, ist so phantastisch, dass ich es mir nur mit einer phantastischen einbildungskraft vorstellen kann.
 

wer frei sein will von illusionen, muss sich nach dem jesuiten Gracián gründlich ent-täuschen. er darf keine gelegenheit zur täuschung auslassen, schrieb er in seinem Kritikon.
 

moderner Hiob: wenn ein unternehmerischer geist von ihm besitz ergreift und es aufwärts mit ihm geht, dann träumt er nachts von seinem untergang.
 

man ist von montag bis freitag erfolgreich, weil man keinen akzeptablen grund zum aufgeben hat. und man ist es am wochenende, da man sich ständig so verhält, als sei man es bereits.
 

"ich bin nicht ehrgeizig: ich bin stolz."
Cesare Pavese
 

vernissagen sind geburtstagspartys und gleichfalls beerdigungen. wegen all der vielen bekannten und verwandten, die einem beharrlich angenehmes sagen wollen. mit solchen festivitäten wird man älter, gleichgültiger und austauschbar.
 

wer es aufgegeben hat, danach zu streben, wonach andere streben, der kann auf einiges verzichten. bildet er sich aber darauf etwas ein, wird er sich dafür rechtfertigen müssen,
dass er sich nicht rechtfertigt.
 

Camus: warum soll ich mich über ärgernisse ereifern, die ich bald wieder vergessen habe? die unzufriedenheit über grosse und kleine missgeschicke geht vorüber. was bleibt sind einzig illusionen als grund für eine innere revolte.
 

all die irrtümer, die mit so viel mühe gegen frühere begangen werden. doch die vergeblichkeit solcher klimmzüge bedrückt nicht, sie höhlt aus, um platz für den eigentlichen komödianten zu schaffen.
 

was soll man jemandem entgegnen, der von sich behauptet, aus reiner selbstlosigkeit zu handeln?
will man sich nicht kompromittieren, kann man ihn nur loben.
 

egal wie tief jemand gesunken ist, er kann nicht aufrichtig über seine niederlagen sprechen, ohne zu übertreiben. er muss sein leiden erfinden, um es mit jemandem teilen zu können.
 

gegendarstellung: gemessen an meinen lebenserfahrungen ist mein schreiben ein artifizielles unternehmen. und ich dabei meist nur der sekretär erfundener empfindungen.
 

es gibt keine lebenskrise, der man nicht gleichfalls gute seiten abgewinnen kann. einzig die fiktive idee von einer krise behält ihren wert.
 

billige bestseller-romane, restaurative rechtschreibreformen, schlecht vorgetäuschte orgasmen... wir sind bereit, bekannte katastrophen zu akzeptieren, solange die unvorstellbaren mehr zu fürchten sind.
 

authentische verlierer gibt es in einem sozial befriedeten leben manchmal erst nach einem arg verlorenen fussballspiel.
 

wofür sollen sich kinder in dieser zeit begeistern?
für explosionen?
oder für implosionen?
 

das aussergewöhnliche anstreben und bis zum äussersten gehen...
UM DEN MOMENT DES SCHEITERNS HINAUSZUZÖGERN.