g-punktierungen


frank richter


(zeitnotschlag)

how long is long?
in der warteschleife
irgendeiner hotline

how long ist how?
mang der schlange
im engen späti

how long is now?
beim ausharrenden
besuch eines amtes

how long is wow?
beim abseitsspiel
vor dem fernsehen

how long is long?
unter der decke
beim subito coitus





(urbane mitte)

zerzaustes haar
und bierbauchig
im park versackt

eine steife hand
die bansuri spielt
mit herz und schmerz

tiefe augenringe
in selbstreferenz
die nacht durchlesen

tagelang grübeln
über allseiendes
ohne sinn und yoga

während Karstadt
zum schlussverkauf
sterne verramscht






gedichte ohne worte
für einen zen-garden

bilder ohne farben
bei einem stromausfall

geld ohne menschen
von der daytrading börse

kälte ohne temperaturen
in der virtuellen realität

weisse schrift ohne leser
archiviert als kopfseller

rigoroses bedingungslos
á la (12mal da capo)





(pingpong)

sie liest Judith Hermann
und versteht ihn nicht

er hört laut seinen Rap
redet selten ein wort

sie schreibt tagebuch
er liest dann Derrida

sie isst umweltbewusst
er hat ein altes auto

sie spielt blindekuh
er streamt egoshooter

sie ersehnt sich hiebe
er hat angst vor der liebe






der automatismus bei fragen
jeden abend in talkshows

der automatismus mit travestie
in echtzeit sozial gestreamt

der automatismus in provokationen
engagiert durch sinnlos-agenturen

der automatismus bei meinungen
medial auf- und abblasbar

der automatismus als gewandheit
aus mündern von politikprofis

der automatismus von glück
wohlfeil in jeder werbung

der automatismus als zukunft
automatisiert das morgen






ein pickel auf der nase
ein austritt den augen

ein pickel mit promotion
die gefakte doktorarbeit

ein pickel in den nachrichten
autokorrekt generiert

ein pickel im speicher
als virus implantiert

ein pickel ohne pointe
als gewiefte pointe





(lonely back)

inwiefern ferne ersuchen
die verlockt als fotoposter

warum hohe berge besteigen
die ohne schlagschatten sind

wieso in die tiefe tauchen
wo eine oberfläche fehlt

weshalb miteinander reden
wenn lust sich in luft auflöst

warum ein weltbild imaginieren
das in keinen kopf passt





(überhang)

freitag, der 13.
insgesamt, sein 91.
im lebensjahr, dem 52.
mit enttäuschungen, vielen
bei einem bier, dem 3. heute
eine rede formuliert, zum 5. mal
potentielle kunstpreise abgesagt, infinit
noch immer unbescheiden geblieben, mit hybris
am morgen sekt geschlürft, nur künftiges wollend





(reichweitentest)

eine elegie
für die linke hand

eine ode
für die rechte hand

eine elegie
für das linke hirn

eine ode
für das rechte hirn

vier dichtungen
distinkter symmetrie





lieber den bierbauch
schweigend auftragen
als einen weinmund
mit smalltalk füllen

zum glück ist man
kein alkoholiker
kann noch süchte
tragen und wagen

das leben riskieren
mit nachbartratsch
an tagen ohne ideen
auf eloquenz bringen

was einer im alter
nicht mehr weiss
weiss er mit würde





(rausch)

die vagen einfälle
hat er nie notiert
sich nachts halluziniert

die intimen einfälle
werden keinem verraten
für kein honorar verkauft

die besten einfälle
sind versprecher und
brauchen keine inspiration

die genialen einfälle
werden täglich auspalavert
sie bekommen wenig beifall





(lamento)

wo die sprache den speichel auflöst
mang einer party unter gut bekannten

auf der zunge der geschmack von zunge
wenn niemand sich langweilt wie er

das talken bleibt ohne mehrwert
eine kreisende einwegflasche

die bekannten werden immer älter
jedes jahr mit wachsender schuld

endlos sind ehrentage zu dulden
mithin jubilare sich bejubeln





(auch)

ich pisse zu viel
ich trinke zu viel

wo bin ich
falls ich wo mal
nicht durstig bin?

ich rauche auch
ich schnaufe tabak

was passiert
gedanken welche
uninspiriert bleiben?

ich lese quer
ich verstehe wenig

wie denkt man
oder frau divers
sich mitgefühlt?

ich meine gläubig
ich glaube meinig

wann gebe ich zu
dass ich allerlei
bloss erfinde?





(kunstkataster)

D. ist verrückt nach berühmtheit

A. möchte das grosse geld verdienen

E. erhofft sich primär anerkennung

W. sucht genuine emotionen

B. lebt sich exhibitionistisch aus

J. strebt nach transzendenz

M. will nicht viel arbeiten

K. wäre mit einem nachruhm zufrieden

T. redet nicht gern darüber

F. kann bloss kunst





(ausweissung)

einfall, ich räume das zimmer nicht auf
ich streiche das zimmer weiss

entschluss, ich wasche keine wäsche
ich bleiche die haut couture weiss

verzweiflung, ich habe kein weisses haupt
mir fallen die kopfhaare aus

meineid, ich denke überaus kluges nicht
ich verrausche das denken weiss

billigung, ich habe zu viel weiss im auge
ich sehe das weisse weiss






die rote karte der gelben zeigen
das ich ist ein gemeines wir

dem schach einen elfmeter vergeigen
beim denken von entschiedenheit

der moral unter das ross steigen
sich nächtelang gehenlassen

nachbarn nachbargrüsse verweigern
schafft raum für stille monologe

ohne ekstase suboptimales dealen
verprellt honore kunstaufträge

autorlos herummotzen
berauscht chatbots





(man hofft auf geltung)

sie dient der syntax
man ist gesprächsbereit

es babbelt mit jargon
du kannst fragen parieren

er schreibt in tropen
ihr sprecht meinungsvoll

ich erfinde gleichnisse
keiner will was verstehen

sie braucht kein coaching
er braucht keine inklusion
man hat einen fallmanager






für die lebenspatina
sich trash bestellen

per mouseclick ordern
was es vernetzt gibt

ramsch freihaus shoppen
von boten liefern lassen

die ware flugs reklamieren
dann callgirls bewerten

es muss taxiert werden
was sich taxieren lässt

das kritische alter ist
ein ghostrider in the sky





(tagesgambit)

voll vegetarisch die nährung
bei auberginen als fleisch

fremde ansprechend gendern
direktemang barrierefrei

lauten jux als politik
stalken in talkshows

gebührenkosten goutieren
das alltägliche live empfangen

grollen gegen hate speech
animosität als goodwill

gut vernetzt und hörig
ein mindestumtausch sein





(neinjanein)

gegen vorurteile
beim zeitungslesen
helfen vorurteile

zu viel unwissen
beim tv-glotzen
braucht neugierde

lautes geschwätz
langatmig über den tag
verratzt schweigen

bitterer bierernst
in der eck-kneipe
läutet den morgen aus

neinjanein
ja ja





(mitdurft)

wohnen mit namen (2)
unter zeitlosen möbeln (7)
hinter türen und fenstern (9)
meinig als eigener maulwurf (1)
inmitten von büchern (über 2000)
bei argen umtrieben (oft asexuellen)
und kreativer verschwendung (täglich)
das mimen von harmlosigkeit (zutreffend)






(es geht so)
es muss ja

ich schlafe
wie ein fisch

nur drei stunden
leidlich nie tief

die freundeskreise
schrumpfen merklich

bei raren anrufungen
fallen gespräche aus

oder sind obligate
vom inklusionsberater





(evaluierung)

jeder siebente single
will lieber flirten

zwei von drei frauen
leiden unter bodyshaming

alle elf minuten verliebt
ein model sich per plakat

ein zungenkuss preist an
was jeder top lieben soll

es wird nachts begehrt was
doch unbefriedigt bleibt

der frust pusht interaktiv
verschwörerische theorien






der montag ist kein schontag
in dieser woche kein feiertag

die mieterhöhung alle zwei jahre
bei 5% stemmt exponentielle hochs

dein saldo bekommt kein dispo
bei zinsen max. zwei promille

ein ich ist dem wir keine exklusion
mit lust auf lust immer auch frust

das leben will kein buch werden
bloss eine fabulierte buchführung

der schreibkram war nie eine lösung
bleibt irreführung bis zum epilog

ein montag ohne frühstück ist
mit kater klarenfalls ein durchfall





(distinktionen)

jeder 10. gedanke ist keiner
jede 10. doktorarbeit reimt schmu
jedes 10. gedicht interpretiert stuss

jede 10. umfrage relativiert meinungen
jeder 10. gedenktag vermehrt gelaber
jede 10. erinnerung trübt lebensfakten

jeder 10. orgasmus bleibt geschummelt
jede 10. verhütung ist eine entsagung
jeder 10. mensch wird nicht geboren





(eigenbill)

einfach ist es
schwieriges zu denken

man erfinde fünf neue wörter
täglich hochstapelnd

und elaboriere damit
akzidentielle sentenzen

pro jahr aufgerechnet
kompiliert sich so

eine ganz neue sprache
als bestimmheitsgabe

um unbekanntes zu meinen
unsinniges zu sinnen






eine million millionäre
werden nie milliardäre

sie wollen als nette elfen
lieber migranten helfen

als neunmalkluge schwänzer
einen schulstreik ausweiten

mit lärmenden petitionen
ochs und esel aufhalten

die artgerechte haltung auch
für kieselsteine einklagen

eine million millionäre
haben zu wenig ohnmacht

sie sind ein himmelfahrts
kommando der unbilligkeit





(zustandsbloss)

ein ganzer tag
in zartrosa
die liebe zerstritten

im sprachrausch
familiär verbändelt
narzistisch geeint

den feierabend lang
ohne zärtliches vorspiel
prompt sich shooten

erregt im unfrei
willigen paarlauf
wieder ohne kondom

mithin das aufhören
unendliches aufgeben
eine überforderung ist






den kuchen der mutter
zu schlicht loben: verrat

die flötentöne des sohnes
motivierend loben: gefährlich

die vernissage eines newcomers
indifferent loben: inflationär

wegen löhnender zeilenhonorare
verständlich loben: langweilig

für kein geld dieser welt
gemeinhin loben: verdächtig

um leeren zu füllen
dialektisch loben: übermut





(bloss)

ein chalumeau spielen
unter einer betonbrücke

für einen schwarm voll
beschwingter stare

die vögel entfliehen
sukzessiv dem sound

in urbaner kakophonie
verweilt man exklusiv

bar einer offenbarung
wie diese zeilen





(sozialmeter)

das hemd mit fleck
diskret unterm jackett

die stete bemalung
des falschen lebens

derweil impertinenz
auf die kacke haut

als ewiges palavern
bei innigen monologen

um nicht zu treffen
jeden den ich treffe

immer währendes
so dadurch und dahin





(redundanztanz)

so viele bits die
einer sich aufschreibt
bis in die späte nacht

zuhauf bits die
nicht von ihm sind
bei zu viel lektüre

aktuelle bits die
obsolet schon sind
auf antiken festplatten

unzählige bits die
unverbindlich bleiben
in online-verbindungen

allerlei worte die
algorithmen sich texten
für zuspruch leasen





(weltauslieferung)

jene sattsam bekannten ladenhüter
gut & günstig vs. günstig & gut

was man alles anhäuft in der vita
als frühdenker vs. spätentwickler

sogar an sonntagen mit lange weil
einfallsreich vs. ausfallsreich

solange man kein prominenter ist
bedeutungsleer vs. bedeutungsvoller

im steten weit- vs. wegsprung
ohne moral und bedenken





mehr querdenker
weniger narrenschiffe
braucht das land

als eine künstliche
nicht vage intelligenz
gilts sich upzudaten

disponibel zu sein
medial gut trainiert
ein ping-pong spieler

in echtzeit hyperaktiv
mal drauf mal drunter
geher beim vorspielen

für weitere vorspiele
ohne dankeschön
das macht angst





(feiernacht)

die nacht ist klar
und nichts ist klar

unter einem vollmond
die milchstrasse fehlt

ausgeblendete sterne
dimmen den lichtsmog

unheimlich die nacht
dem traum kein asyl

bei harten rhythmen
aus lautem fenster

der himmel voll
einer enge


© frank richter 2017-2021