scheitern(hoch)x


gedanken aus der hocke

mit einem kopf voller pläne aufwachen und nach dem früh-stück feststellen, dass die mühen des tages erst mit einem gefühl von teilnahmslosigkeit zu bewältigen sind.
 

unsichtbar werden oder lieber davonlaufen. es gibt in meiner stadt so viele menschen, denen man ihre einsamkeit gar nicht mehr ansieht. sie lächeln zu viel.
 

Pascal soll, als er in Port Royal an seinen Pensées schrieb, um sich herum ständig einen schutzwall aus büchern und stühlen errichtet haben. so innig muss seine angst vor einem heillosen abgrund gewesen sein.
 

ich beobachte menschen in der stadtbibliothek, die ich nie verstehen werde. ich darf ihnen nicht zu lange in die augen schauen, sonst werden sie nervös und beobachten fragend zurück. im schlimmsten fall ist eine ausführliche lebens-geschichte zu befürchten. eine geschichte, die ein einziger vorwurf sein wird.
 

die sichere vagheit eines ich. und die unsichere klarheit eines nicht-ich. sich selbst überlassen auf einer party oder sich nicht überlassen auf einer ganz anderen party, in einer stets eigenen verlassenheit.
 

in einem zyklischen tagestraum tappe ich in jede falle, packe alles falsch an und gehe aus jeder pleite gestärkt hervor. ich bin ein clown, der sein publikum zum lachen bringen muss.
 

das recht zu scheitern als wahn der erfolglosen.
einen menschen erkennt man, wenn er vor einem abgrund steht, also in dem moment, wenn er macht erhält.
 

"Erfolgreich scheitern - vom Können zur Meisterschaft"
wer in einem schiffbruch einen gewinn sieht, kann nur ein unternehmensberater sein.
 

transzendente enge: ob man ein halb volles oder halb leeres glas in den händen hält, ist eigentlich egal. es ist auf jeden fall zu viel oder zu wenig.
 

"selbst wenn sich einer fände, der in einer stunde mehr zu ahnen vermöge, als andere in einem ganzen leben, dürfte er sich damit nicht zufriedengeben. er müsste es lernen, seine ahnungen, auch die, die er am meisten liebte, zu verwerfen
und ganz unerhört zu finden, die ihn noch bedrohen."
Elias Canetti
 

einen unanfechtbaren text schreiben und für jedes argument den richtigen ton finden. mit seinem streben nach perfektion hat man einen chronischen kampf auszufechten, nur um sich am ende des tages jäh seiner mängel zu versichern.
 

Karl Valentin: spricht jemand über seine niederlagen, um zu behaupten, er habe aus fehlern einträgliche konsequenzen gezogen, habe ich den eindruck, dass wir nicht dieselbe sprache sprechen.
 

wie oft wartet man als ein suchender denker beim schreiben auf einen einfall, auf eine zündende idee, welche den eigenen sätzen einen sinn verleihen kann. doch man schreibt weiter. immer weiter.
 

kein verdruss ohne mangel, kein verdruss ohne genuss.
von niederlagen lernen, dass zu wenig von ihnen zu lernen ist. so macht schaden manchmal klug.
 

es ist kein ende abzusehen. mit jeder olympiade werden weltrekorde überboten. dank besserer technik, verstecktem doping und penibler mess-methoden.
 

dieweil sich lebensansprüche unentwegt toppen und poppen lassen, scheinen viele vorstellungen von krisen völlig überholt zu sein. man kann mit tatsächlichen niederlagen zunehmend weniger anfangen, man muss sie fiktionalisieren.
 

an seinem stil feilen und sätze formulieren wie Flaubert, der seine manuskripte in die natur geschrien hat, um zu prüfen, ob sie stimmig klingen. oder so feinfühlig und eindeutig schreiben wie Rousseau, der achtzehn stunden täglich an seiner nouvelle Héloise gearbeitet haben soll. doch warum jener aufwand? hält man zu beharrlich an einer arbeit fest, bleibt einem irgendwann nur noch der übermut der zerstörung.
 

den erfolg als einen gradmesser für sein handeln akzeptieren, das bedeutet wohl, letztendlich die freude am unlösbaren auf die spitze zu treiben.
 

die augen dem masslosen geöffnet mit masslosen blicken. wann immer ich glaube, eine fundamentale erfahrung zu machen, habe ich das gefühl, mich zu hintergehen.
 

Breton: alles, was im grossen und kleinen geschieht, ist so phantastisch, dass ich es mir nur mit einer bizarren einbildungskraft vorstellen kann.
 

wer frei sein will von illusionen, muss sich nach dem jesuiten Gracián gründlich ent-täuschen. er darf keine gelegenheit zur täuschung auslassen, schrieb er in seinem Kritikon.
 

moderner Hiob: wenn ein unternehmerischer geist von ihm besitz ergreift und es aufwärts mit ihm geht, dann träumt er nachts von seinem untergang.
 

die regularen notwendigkeiten von montag bis freitag, meine geduld ist das und so weiter. man ist erfolgreich, weil man keinen akzeptablen grund zum aufgeben hat. und man muss erfolgreich sein, da man sich ständig so verhält, als sei man es bereits.
 

"ich bin nicht ehrgeizig: ich bin stolz."
Cesare Pavese
 

vernissagen sind geburtstagspartys oder beerdigungen. wegen all der vielen bekannten und verwandten, die einem beharrlich angenehmes sagen wollen. mit solchen festivitäten werde ich älter, gleichgültiger und austauschbar.
 

wer es aufgegeben hat, danach zu streben, wonach andere streben, der kann auf einiges verzichten. bildet er sich aber darauf etwas ein, wird er sich dafür rechtfertigen müssen,
dass er sich nicht mehr rechtfertigt.
 

Camus: warum soll ich mich über ärgernisse ereifern, die ich bald wieder vergessen habe? die unzufriedenheit über grosse und kleine missgeschicke geht vorüber. was bleibt sind einzig erwartungen, der grund für eine innere revolte.
 

all die irrtümer, die mit so viel mühe gegen frühere begangen werden. doch die vergeblichkeit solcher klimmzüge bedrückt nicht, sie höhlt mich aus, um platz für den komödianten in mir zu schaffen.
 

was soll man jemandem entgegnen, der von sich behauptet, aus reiner selbstlosigkeit zu handeln?
will man sich nicht kompromittieren, kann man ihn nur loben.
 

egal wie tief jemand gesunken ist, er kann nicht aufrichtig über seine niederlagen sprechen, ohne zu übertreiben. er muss sein leiden erfinden, um es mit jemandem teilen zu können.
 

gegendarstellung: gemessen an meinen lebenserfahrungen ist mein schreiben ein artifizielles unternehmen. ich kann bloss der sekretär meiner erfundenen empfindungen sein.
 

es gibt keine lebenskrise, der man nicht gleichfalls gute seiten abgewinnen kann. einzig die fiktive idee von einer krise behält ihren wert.
 

billige bestseller-romane, restaurative rechtschreibreformen, schlecht vorgetäuschte orgasmen... wir sind bereit, bekannte katastrophen zu akzeptieren, solange die unvorstellbaren mehr zu fürchten sind.
 

es ist um diese zeit wieder vier uhr morgens. und es ist nicht alles beklagenswert, was übel verdaut erst mit dem morgen-schiss ausgeschieden wird.
 

prädestiniert sein zum scheitern, der grossen illusion. man ist mit sich selbst nie zufrieden genug, um wirklich aufgeben zu können.
 

authentische verlierer gibt es in einem sozial befriedeten leben augenscheinlich erst nach einem arg verlorenen fussballspiel.
 

wofür sollen sich kinder in dieser zeit begeistern?
für explosionen?
oder für implosionen?
 

das aussergewöhnliche anstreben und bis zum äussersten gehen...
UM DEN MOMENT DES SCHEITERNS HINAUSZUZÖGERN.