mikado als symptom
verregnete Wochenenden waren ihm als Kind aufregende Lesetage. er hat sie begrüsst, da er in seinem Zimmer stundenlang über Büchern brüten durfte. die Familie lebte in einer kleinen Wohnung und er wurde an sonnigen Tagen nach draussen zum Spielen geschickt. die Eltern wollten ihre Ruhe haben und eine routinemässigen Verkehr in einem Schlafzimmer, das nur eine Pappwand das Kinderzimmer abtrennte. hatte er keine Lust, mit anderen Kindern zu spielen, wurde er dazu verdonnert, Eis mit der Thermoskanne in der entferntesten Eisdiele einzukaufen, weil es dort angeblich am besten zubereitet wurde. dabei beeilte er sich zum Ärger seiner Eltern, um zu beweisen, wie geschwind er mit dem Fahrrad als beleumundeter Stubenhocker die Stadt durchqueren konnte.
seine Heimatstadt war eine überschaubare und auch schnell zu durchwandernde, wenn man die Neubausiedlungen ignorierte. es liess sich immer jemand unverhofft besuchen. war er nicht zu Hause, wurde einfach ein paar Strassen weiter bei einem anderen Freund geklingelt. leider verkleinerte sich der Bekanntenkreis kontinuierlich, als viele wegzogen oder aus dem Land gänzlich ausreisten. wer in der Provinz aufwächst, träumt unweigerlich vom Auswandern. die Ferne ist verheissungsvoll gegenwärtig, wo das Naheliegende als das zu vertraut Gleichbleibende anödet. die heranwachsende Generation entflieht solchen Perspektiven durch ein Studium oder die berufliche Karriere in der Ferne. er versuchte seit seiner Kindheit, mit Büchern jener Enge zu entkommen. und das gelang ihm halbwegs, bis er in ein Internat nach Schwerin zog und dort heimisch wurde.
in der Fremde verändern sich Ansprüche und das Unbehaustsein sorgt dafür, dass mancher sich wieder nach der vertrauten Heimat sehnt. dort ist dann, wenn zwar nicht alles, doch immerhin einiges besser gewesen. eine solche Sentimentalität kam bei ihm nicht auf, er ist nach dem Abitur aus pragmatischen Gründen wieder in Cottbus gestrandet. hier bekam er eine eigene Wohnung und einen Job beim Theater. nur ein gefühltes Zuhause schien es nicht mehr. er verbrachte die Wochenenden häufiger in Berlin und zog nicht weg, so lange es in der brandenburgischen Provinzialität leichter war, als Künstler Projekte zu lancieren. bei einer überschaubaren Konkurrenz wurden die Fördergelder damals nicht an die üblichen Verdächtigen vorab vergeben, so dass selbst Aussenseiter wie er eine Chance bekamen. sein Fernweh musste er in die Schranken weisen und wurde zu einem Pendler zwischen den Polen Einsamkeit und Grössenwahn. jene Unbehaustheit blieb nach seiner endgültigen Abreise nach Berlin prägend.