überflieger in spe
vorbildliche Vorbilder hat er nie gehabt und damit keine verloren. vielleicht wäre er mit der rechten Galionsfigur ein anderer geworden, kein orientierungsloser Vagant geblieben. seit seiner Jugend assimiliert er Wissen, welches er in Ausstellungen und Büchern bekommen kann, ohne in Diskussionen zu einem Experten von irgendwas zu mutieren. verstanden hat er vieles erst bei einem kontinuierlichen Weiterlesen und bei manchem Autor nie abschliessend. er hat nach Sartre und Camus den Heidegger so intensiv studiert, ohne ein Heideggerianer zu werden. durch Hegels Bände arbeitete er sich als kein Hegelianer hindurch und ein Marxist konnte er nie sein, da ihn Marx zu sehr beeindruckt hat und sein kritischer Geist solches von vornherein verbietet.
anempfohlen wurde ihm Marx als Ikone des Sozialismus nebst Engels sowie Lenin mit zahlreichen Zitaten schon in der Schule. die Lust, sie im Original in überall rumstehenden Werkausgaben zu lesen, war gering. er rang sich nur dazu durch, da es unter Bekannten immer diese Frage gab, wer die Schuld am Desaster des real existierenden Sozialismus trug. die Hoffnung auf einen Kommunismus als die ideale Gesellschaft war noch ungebrochen. die gläubigen Sozialisten meinten, dass mit Stalin und seinem Terror die Fehlentwicklung begann. wer intensiv Lenin las und auch seine Briefe, in denen jener hart gegen Abweichler in den eigenen Reihen intervenierte, gab ihm die Schuld. für andere wiederum war Engels, der Marx sinnentstellt vereinfacht hatte, der Unheilsbringer. aber auch seine Irrtümer galt es zu verstehen und besonders die Erkenntnis, dass man keinem Dogma auf dem Leim gehen darf. der offizielle Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus wurde, wo immer er in seinen blauen Bänden vorlag, von ihm gelesen und mit seinen stilistischen Raffinessen überaus geschätzt, jedoch wegen seiner intriganten Volten weniger als Mensch verehrt.
eine kontemporär nach Sinn suchende Jugend hat es heute auch schwer, bei der Sinnsuche eine Orientierung zu finden. vor lauter Stars und Prominenten ist sie andauernd auf der Suche nach Identifikationsfiguren. sie werden als Idole schneller gewechselt als die designte Jeans, die nach wie vor zerrissen sein darf und als modischer Chic bereits so verkauft wird. in einer Gesellschaft, die Instant-Persönlichkeiten zu Idolen macht und Secondhandstars zu Symbolfiguren erhebt, kann es kaum anhaltenden Vorbilder geben. und wenn doch, dann ist die Wahl trivialisiert. es handelt sich um Fussballer, fotogene Sänger von Teenie-Bands, Topmodels oder angesagte TV-Moderatoren, deren Ansprüche recht trivial sind. es werden seltener Philosophen oder tiefsinnige Schriftsteller gelesen, meist nur aktuell angepriesene Bestseller-Autoren.