überflieger in spe
fünfmal hat das Haus, in dem er seit 15 Jahren in Berlin wohnt, seinen Besitzer gewechselt. als er einzog, gehörte es als Teil einer Siedlung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. wegen sinkender Einnahmen musste sie zu Geld kommen und verscherbelte ihr Grundeigentum an eine nordamerikanische Aktiengesellschaft. mit der globalen Finanzkrise wurde auch jene klamm und der Komplex ging an eine Immobiliengesellschaft mit Sitz in Bayern und alsbald nacheinander an kleine neugegründete Unternehmen, deren Inhaber ihr Vermögen vorsichtshalber in Beton anlegen. der Mietpreis ist bisher erfreulicherweise wenig gestiegen und somit weiterhin erschwinglich. nur wenn überall Spekulanten unverfrorener ihre Ansprüche durchsetzen und Geld mit einem Hausbesitz maximieren wollen, kann sich das bald ändern. pünktlich muss er seine Banküberweisungen für die Miete aktualisieren. ist er einmal säumig, könnte es passieren, dass ihn eine Abmahnung und bei der derzeitigen Rechtslage stante pede eine Kündigung ereilt. ein bezahlbarer Miet-Ersatz ist schwerlich zu finden. der Wohnraum in Berlin wird knapper und luxuriöser. neue Mietshäuser baut man äusserst selten, stattdessen nimmt die Zahl schicker Eigentumswohnungen zu, in denen nachts kein Licht brennt, da sie Leuten mit mehreren Quartieren gehören, welche ihr Geld anlagesicher bunkern.
das intellektuelle Milieu leidet darunter und kann sich bei zu vielen angehäuften Büchern keinen Umzug leisten. man hofft, dass man dort bleiben darf, wo man seine Bleibe hat. seine hat er sich in weiser Voraussicht in einer drögen Gegend ausgesucht, wo keine Verdrängung durch hippe Kreative zu erwarten war. das hat sich bestätigt und mit Wohlwollen sieht er die anhaltende Verwahrlosung um sich herum, besonders bei den Mülltonnen, die überfüllt ihren Inhalt in der Umgebung verteilen. leider ist es keine Garantie für anhaltend niedrige Mieten. trotz seiner peripheren und schmuddligen Lage hat sich in den letzten zehn Jahren der sozialschwache Stadtbezirk Neukölln zu einer beliebten Szene-Gegend entwickelt. nachdem Künstler das Ambiente für sich entdeckten, stiegen die Mieten rasant. mancher Betroffene versucht, seinen Kiez seitdem zu verteidigen, indem er seinen Hund absichtlich mitten auf dem Gehweg koten lässt. andere sammeln sporadisch Sperrmüll, um ihn in ihrer Strasse abzuladen. es soll heruntergekommen aussehen und gutsituierte Neuzugänge abschrecken. freilich wird es langfristig nichts nützen. in Friedrichshain, wo man Ende der 90er Jahre es ähnlich praktizierte, löste es eher das Gegenteil aus, weil der Unrat als Kiez-Charme verlockte.
eine Yuppisierung ist nicht aufzuhalten, wo monetäre Ansprüche durchgesetzt werden. das Umfeld verteuert sich, die Nobelkneipe verdrängt die Eckkneipe, der teure Bio-Läden den preiswerten Späti und das Handwerk muss an den Stadtrand ziehen, damit Immobilienmakler ihre Büros in Gewerberäumen protzig installieren. freigesetzt lebt man in dieser freien Gesellschaft bereits genug, und der Druck wächst, noch mehr loszulassen. er trifft häufiger auf Obdachlose und verteilt freizügiger Kleingeld. in einer nahen Zukunft könnte er es, falls es so weitergeht mit dem urbanen Florieren, in einer ähnlichen Notlage selber erbitten müssen.