überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

ihm fällt es schwer zu warten, er will augenblicklich von Erwartungen erlöst sein. deshalb hat er seine Küche gestern spontan gemalert und nicht den Fussboden zuvor mit einer Folie abgedeckt. es sollte schnell gehen und muss nun mehrfach aufgewischt werden. bereits als Kind konnte er sich nicht gedulden. er öffnete die versteckten Geschenke für den Geburtstag oder das Weihnachtsfest vorher heimlich. dabei war er unbeholfen, so dass die Schnüffelei bemerkt wurde und Ärger einbrachte. seine Unruhe war so gross wie sein Ungeschick und dementsprechend linkisch manches Gebaren. in der Küche durfte er nicht helfen, vor allem nicht das gute Geschirr abwaschen, womit er manche Missetat auszugleichen hoffte. er war ein unverbesserlicher Tagträumer, der selten im hier und jetzt lebte.
daran hat sich auch in reifen Lebensjahren wenig geändert, noch immer möchte er lieber dort sein, wo er gerade nicht ist. bei der Arbeit treibt ihn seine Ungeduld an, er will zu Ergebnissen kommen und stellt sie sich, falls es mit dem Laborieren zu lange dauert, einfach im Kopf vor. nur beim zweifelnden Räsonieren bevorzugt er es wie Brecht, nicht gern da zu sein, wo er herkommt, und auch nicht gern dort, wo er hinfährt. die Dialektik eines real existierenden Sozialismus hat in Zeiten der visionären Leere sich solche Aporien geschaffen. man wollte den Status quo als Nische halten und hat, weil nicht viel zu erhoffen war, Erwartungen kleiner geschraubt. in der freien Marktwirtschaft wird die Haltung, sich bescheiden irgendwo einzurichten, eher bestraft. wer Unannehmlichkeiten wie zum Beispiel den nötigen Umzug in eine bessere Wohnung zu lange aufschiebt, findet eine solche kaum noch. hat man es in vergangenen Jahren bei mehr Lehrstand nicht geschafft, wird es unwahrscheinlicher, bezahlbar die Lebensqualität zu verbessern. es geht nur noch darum, bei steigenden Mieten den status quo zu halten.
unsichere Lebensphasen verleiten dazu, über zurückliegende Ereignisse zu brüten und die Zukunft zu bedenken. die meiste Zeit hat er dafür, wenn er auf Bahnhöfen verweilt und bei weiten Reisen auf den nächsten Anschluss wartet. viele Jahre erging es ihm derart, als er zur Berufsausbildung, zum Studium oder irgendwelchen Projekten durch das Land pendelte. sehr früh müsste er aufstehen und in einem Transit-Dasein unausgeschlafen nach einer Ankunft streben. ohne elektronische Anzeigen sass er schlecht orientiert in irgendeinem Zug. fuhr auf dem Bahnsteig der gegenüberliegende los, hatte er das Gefühl sich rückwärts fortzubewegen. dieser Umschlag löste sich erst auf, als der eigene Zug anfuhr und dann der richtige war. oder auch nicht, so dass ein kompliziertes Umsteigen nötig wurde. einen nicht unerheblichen Teil seiner Lebenszeit verbrachte er so, von einem Beruf in den nächsten wechselnd, von einer Wohnstadt in eine andere, von einem Abbruch zum nächsten eilen. ein bewegtes Leben soll zwar, wie manche Bestseller-Therapeuten meinen, glücklich machen, da jedoch dauerhaft pendelnde Menschen meist unzufrieden sind, kann man sich dessen nicht so sicher sein.