überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

für die Werbung ist der Mensch ein Jäger und Sammler geblieben. sein Unterbewusstsein wird mit Schnäppchen geködert, die zu Hamstereinkäufen verführen, welche nur in einem planwirtschaftlichen Land einen Sinn ergeben. im ostdeutschen Sozialismus regierte der Mangel und man hortete sogar nicht Brauchbares, um es gegen anderes einzutauschen. in einer Überflussgesellschaft wird mehr aus Spass als aus einer Not heraus gekauft. es geht darum, Seltenes zu finden und um das Zusammenstellen von Disparaten. dafür werden keine Kosten und Mühen gescheut. stösst man auf eine Rarität, ist der Adrenalinstoss durchaus vergleichbar mit dem eines Steinzeitmenschen, wenn er mit endlich einen Mammut erlegte. stellt sich dieser Kick nicht ein, vertreibt das Sortieren wenigstens Langeweilen.
bei ihm waren es Briefmarken, mit denen er sich als ein sich Heranwachsender ein erstes Weltbild zusammenphantasiert hat. vor allem Tiermotive hatten es ihm angetan und wurden emsig ertauscht oder vom Taschengeld gekauft. er besass drei Alben und sortierte da alles rein, was er bekam. es wurde ein Katalog angeschafft, um die Marken zu systematisieren. so lernt man Ordnungssinn, der schnell zu einem Zwang auswächst. viele Wochenenden hat er mit seinen Briefmarken verbracht und die Eltern freuten sich, so jenes Hobby ungefährlicher war als sein Experimentieren mit dem Chemiebaukasten. die Verwandtschaft sowie Kollegen seiner Mutter sammelten für ihn mit und reichten ihre Briefumschläge weiter, von denen in einem Wasserbad die Marken abgetrennt und auf Zeitungen getrocknet wurden. er kombinierte Baudenkmäler mit Kunst-Ikonen, kolorierte Willy Brand-Konterfeis steckte er neben die von Walter-Ulbricht. irgendwann gesellten sich Hitler-Köpfe hinzu, die ein Freund im Familienkeller fand. aber primär breitete sich Pflanzliches in seiner Sammlung aus. besonders viele Kakteen erreichten ihn, die damals nicht nur in jeder Wohnung, sondern in den Büros und zahlreichen Sukkulenten-Schauen aus welchen Gründen auch immer sehr in Mode waren.
beim Sammeln hat er sich nicht spezialisiert, es wurde alles mit allem vereint. irgendwann fand ein Mitschüler bei einer Altstoffsammlung Inflationsgeld, das ungemein beeindruckte. bereits mit einem Schein waren man ein Milliardär geworden. bald wurde schnell klar, dass jene Noten eine ähnliche Aura hatten wie das DDR-Geld, das sich auch auf einen nebulösen Wert reduzierte, wenn man über keine exklusiven Beziehungen verfügte. auf dem Schwarzmarkt würde es eins zu zehn gegen die D-Mark umgetauscht, damit die Eltern zu Autoersatzteilen kamen oder einen Handwerker bezahlen konnten. inzwischen ist die eigene Währung eine hart konvertierbare, doch in Zeiten der Finanzkrisen, wo Zentralbanken monatlich Milliardensummen in die Märkte pumpen und faule Kredite aufkaufen, um Banken über Wasser zu halten, traut man dem Papiergeld immer weniger. es wird sicher in Gold oder mit dem Beton von Immobilien angelegt. für Kredite sind bei einer Bank keine Zinsen mehr zu zahlen, mancher Unternehmer bekommt sie obendrauf, insofern er sich entsprechende Summen leiht.