mikado als symptom
wer seine Welt durch ein Kameraobjektiv betrachtet, nimmt sie in überschaubar minimierten Ausschnitten wahr. als Kind hat er sich einen Fotoapparat für 20 Mark gekauft und im Urlaub zwei bis drei Filme verknipst. er konnte bloss zwischen je drei Blenden- und Belichtungswerten wählen, so dass manches Bild wie bei einem frühen Gerhard Richter unscharf diffus entwickelt wurde. in Swenemünde wäre jedoch sein Apparat fast konfisziert worden, als er mit ihm unbedacht den Militärhafen inspizierte. nach einer kurzen Diskussion mit einer Dolmetscherin durfte er die Kamera dann behalten, da man sie für ein Spielzeug hielt. und das war sie ja auch, obwohl er damit zuweilen gelungene Bilder für ein Album schoss, das er noch besitzt und gern durchblättert. darüber hinaus liegen wenige Erinnerungsbilder vor, weil er irgendwann merkte, dass man ein teilnahmsloser Mensch wird, wenn man ständig durch eine Linse starrt.
erst im Journalistenberuf musste er wieder mit einer Kamera Eindrücke dokumentieren. einen professionellen Fotografen als Begleitung konnte sich seine Redaktion nicht leisten, nur für jeden Mitarbeiter eine Spiegelreflex-Praktika. er war mit dem Knipsen von Personen, die er ausfragte, stets überfordert. es musste schnell gehen und wurde in einer improvisierten Dunkelkammer selbst entwickelt. auch der Notizblock störte, der mit einer eigenen Steno-Schrift vollkritzelt wurde, weil es noch keine brauchbaren Diktiergeräte gab. war seine Schreibe später schwer lesbar, hatte er einiges zu erfinden. besonders viel Phantasie war bei Interviews aufzubringen und noch mehr bei Theater-Rezensionen. denn nach einer Premiere war am nächsten Tag eine gut formulierte Kritik abzuliefern. das Geschehen auf der Bühne konnte er kaum geniessen, während er bereits an den ersten, den wichtigen Anfangssätzen feilte.
obwohl darüber nichts zu schreiben ist, kommt er beim Fernsehen ebenso schwer zu einem Genuss. versuchte er zu eruieren, was das Faszinierende am kollektiven in die Ferne sehen ist, zappt er sich durch sämtliche Kanäle. vielleicht entzieht sich Grundlegendes, weil er unentwegt beim falschen Programm verweilt. für viele Menschen ist das Flimmern des Bildschirms eine gemeinschaftsstiftende Unterhaltung, die Sujets gleichen sich an, so dass die handelnden Personen trotz unterschiedlichster Kostümierungen identischer werden. es sind Puppen zu beobachten, mit Echthaar und vermenschlichtem Gebaren, welche sich synchron bewegen und eine konstante Lebensfreude ausstrahlen. allein das Lachen vermögen sie nicht richtig. es fällt zu künstlich aus oder hebt sich als Mischung von ausgehaltener Pubertät und zu früher Altersweisheit auf. das telegene Artifizielle ist keine adäquate Simulation des Authentischen, so es jenseits des Natürlichen wohl nichts wirklich Weitergehendes gibt. ihm bleibt eigentlich nur die Sehnsucht nach einer übersteigerten Realität als wahres Sein eine Hoffnung, die einzig die freie Kunst dauerhaft stillt und dabei eine verdoppelt künstliche bleiben muss.