mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

gemogelt hat er oft in seinem Leben, und bei Not- und Lebenslügen mit keinem schlechten Gewissen. er musste, um vor anderen bestehen zu können, ihnen etwas vormachen, und bei wichtigen Entscheidungen, sich selber beschummeln, um nicht zu kneipfen. so manches Projekt beginnt er, indem er sich über die zu erwartenden Mühen hinwegtäuscht oder bei mangelnder Reife fehlende Voraussetzungen einfach unterschlägt. mit einer solchen Hybris erlernte er in jungen Jahren ohne fremde Hilfe das Programmieren und in reifen das frei assoziierende Notieren von hochfahrenden Gedanken, die bei einem immensen Lesehunger nicht immer die eigenen waren.
in der Schule hat man ihm das Mogeln beigebracht und die Lehrer nannten es eine offizielle Meinung. sie brauchte nicht die eigene Ansicht zu sein, es reichte, wenn Lippenbekenntnisse vorgetragen wurden. derart zeigte jemand sich einem real existierenden Sozialismus verpflichtet und musste Widersprüche aushalten. ihm fiel dies schon als Erstklässler schwer, als seine Mutter gemeine Menschen für den Bau der Mauer in Berlin verantwortlich machte. das war plausibel, weil sie nicht weiterhin ihre Tante im Wedding besuchen konnte, doch musste gleichfalls akzeptiert werden, dass die Klassenlehrerin die Grenze einen antifaschistischen Schutzwall nannte. mit jener Bewusstseinsspaltung wuchs seine Meinungsbildung heran und immunisierte sich erst, da er ideologisch Verbrämtes wenig zu ignorieren verstand, allmählich gegen Schizophrenes. so wurde Disperates für ihn zu einer Herausforderung und er sucht seitdem nach vertrackten Widersprüchen und ist beunruhigt, wenn sie ausbleiben.
je verbändelter einer in seinem Milieu sozialisiert ist, desto unverblümter muss er heucheln. es beginnt mit der Frage nach dem Befinden, bei der kaum jemand wirkliche Probleme benennt, lieber ein gutes oder wenigsten ausreichend leidliches Wohlsein angibt, und endet bei einem höflichen Wunsch auf ein Wiedersehen, das nicht wirklich verabredet wird. der kategorische Imperativ verpflichtet zu einer Konversation, die allgemein verbindlich zu sein hat. komplizierter wird es, wo die Bilder von jemand in seinem Atelier zu begutachten sind, und noch diffiziler, wenn sie in Workshops gemalt und in der Wohnung stolz ausgestellt hängen. das einfache Loben könnte als ein Affront angesehen werden, falls es nicht überzeugend genug herüberkommt, und ebenso ein beharrliches Übersehen. also lobt er immer kurz und spricht dann über grosse Inkonzilianzen. clevere Betrügereien garantieren nach wie vor, wie jetzt der VW-Skandal, eine spannend ablenkende Unterhaltung. lange Zeit hat sich niemand in den Chefetagen des Autokonzerns daran gestört, dass nur mit Manipulationen Abgaswerte im grünen Bereich lagen, und als es herauskam, gingen die Manager davon aus, dass sie sich mit den Kartellämtern einigen könnten. doch sie waren im mogelnden Ausloten von Schlupflöchern nicht clever genug.