überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

das Schönschreiben liegt ihm nicht. obwohl es in der Schule vier Jahre beharrlich zu üben war, gelang es ihm selten. trotzdem wurde er und nicht ein in dieser Hinsicht begabteres Mädchen in seiner Klasse Schriftführer. bei Pioniernachmittagen und Treffen mit der Patenbrigade schrieb er die Protokolle, weil er sich glänzend ausdrücken und damit seine Klaue kompensieren konnte. im Medienzeitalter ist eine lesbare Handschrift nicht wichtig, sie wird in Schulen auch nicht gelernt. die Lehrer akzeptieren eine Schreibe, die in Druckbuchstaben oder kursiv gekrakelt wird. sie wollen lediglich Sätze lesen können und wissen, dass nach dem Unterricht ausnahmslos Mitteilungen getippt und keine Urkunden oder Poesiealben kalligraphiert werden.
das schöne Schreiben als schönes Formulieren wird nach der Schule umso nachdrücklicher vermittelt. für angehende Journalisten und Schriftsteller bieten es Workshops oder exklusive Schreibschulen an. hier lernen zukünftige Texter, wie mit akzentuierten Sätzen und anschaulichsten Adjektiven zu brillieren ist. wer es beherrscht, bekommt bei den gut bezahlenden Verlagen eine Anstellung und fabriziert mustergültige Artikel. dass die Wahrheit des Mitzuteilenden sich mit zu viel Vollkommenheit verflüchtigt, stört weder die Redakteure noch Leser. geschrieben wird so rund und nett wie in der Werbung, auf dass alles schnell und unterhaltend ankommt. die Form ist wichtiger als die Botschaft und soll sich an einem geschliffen literarischen Niveau orientieren. das macht sie jedoch keinesfalls, da anspruchsvoll ambitionierten Schriftstellern das Schreiben tatsächlich schwer fällt, wie Thomas Mann mal in einem Interview bekannte. erst das Quälende schafft in literarischen Sätzen andere, komplexere Melodien. wer zu talentiert ist, wird zu schnell mit Erfolg belohnt und tönt eindimensional.
derartig mag er es weder in Büchern noch sonstwo formatiert lesen. als Spätentwickler geht ihm das Schreiben nicht leicht von der Hand, es ist, obwohl die Erfahrungen mit den Jahren wachsen, keine Routine geworden, sondern nach wie vor eine Schufterei. er brütet wie der Kaiserpinguin lange über ein Ei. einen Einfall zu haben, reicht nicht, es müssen viele sein, damit sie sich ergänzen und unter den verworfenen etwas Ausbaufähiges ohne Paraphrasen, ohne Pathos was übrigbleibt. kommt dabei nichts Überzeugendes zustande, lassen ihn Ergebnissen verzweifeln. bei einem argen Verzweifeln überkommt ihn leider auch der Drang, Vorliegendes zu polieren. in uninspirierten Zeiten wird es so lange geschliffen, bis alles makellos glänzt und irgendwann entseelt vorliegt. das Widersprüchliche mit seinen wichtigen Nuancen fehlt auf einmal und lässt sich nur mit Mühe rekonstruieren. am leichtesten noch dort, wo ursprüngliche Fassungen in einem Papierkorb verschwanden, der in seinem Arbeitszimmer, auf seinem Computer deshalb ein grosser ist.