überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

für die Staatssicherheit war er ein Neu-Buddhist. sie haben ihn als bekennenden Atheisten unter dieser Bezeichnung ad acta gelegt. nachdem der Geheimdienst nur noch als historisches Archiv vorlag und jeder einen Antrag auf Akteneinsicht stellen konnte, meinte er, dort verloren gegangene Erinnerungen zu finden. man hat ihn immerhin aufgesucht und versucht, als inoffiziellen Mitarbeiter anzuwerben. seine Gegnerschaft durfte er nicht offen artikulieren. erst nachdem er einer Eingebung folgend erklärte, als geschwätziger Mensch keine Geheimnisse für sich behalten zu können, kam er für eine konspirative Tätigkeit nicht in Frage. in Ruhe liessen sie ihn nicht, bis zum Ende im bleibenden Ungewissen.
als er Klarheit bekommen konnte, reichten ihm die Nachlassverwalter einen dünnen Ordner und boten psychologischen Beistand an, den er verwundert ablehnte. er hätte lieber zusagen sollen, denn beim Durchblättern seiner Akte wurde er mit seiner linkischen Jugendzeit konfrontiert. sogar einen Heftumschlag mit pubertären Sprüchen fand er dokumentiert. die Geheimdienstler haben auch derartiges gesammelt und ausgewertet, weil sie es von seinem Klassenlehrer oder einer Internats-Erzieherin bekamen. ihn berührte es im Nachhinein peinlich. als noch unangenehmer empfand er, dass darüber hinaus wenig protokolliert vorlag. er war zwar in der DDR kein Dissident, verkehrte allerdings in Dresden mit einigen und in Cottbus bot er einer Freundin Unterkunft an, als sie ihren Vater im Knast besuchte. jener hatte am Schweriner Theater gearbeitet und als Ausreisewilliger provozierend Dubčeks Geburtstag gefeiert. die Stasi hat ihn in diesem Umfeld völlig verkannt und das kann man fast als eine Verunglimpfung ansehen. in ihren Akten waren wie bei manch anderem belanglose und völlig falsch interpretierte Fakten festgehalten worden. im schlimmsten Fall lag bei vermeintlichen Oppositionellen gar nichts vor. oder so lange, bis ein anderer in seinen Akten entdeckte, dass mancher von ihnen ein Spitzel war. die wichtigen Unterlagen haben die letzten Mitarbeiter nach der Wende behende vernichtet. bevor ihre Häuser richtig kontrolliert wurden, liefen dort die Heizungsanlagen auf Hochtouren.
mit einem Kunstprojekt wollte er jene schiefe Sicht auf eine archivierte Vergangenheit korrigieren. die Öffentlichkeit diskutierte lange einzig im Täter-Opfer-Modus und ignorierte, dass Interpretationen über faktisch vorliegende Dokumente und deren Realitätsgehalt weit auseinander lagen. jener Widerspruch sollte hinterfragt werden. er plante, in einem Archivraum zusätzliche Aktenschränke aufzustellen, um Platz für weitere Dokumente zu schaffen. mit dieser Manipulation, sollte neben den Akten der Stasi ein Freiraum entstehen, der Betroffenen die Gelegenheit bot, nicht Erfasstes oder persönliche Anmerkungen einzubringen. obwohl es zu keiner Beeinträchtigung von Recherchearbeiten geführt hätte, gelang es nicht, solche symbolischen Updates zu installieren. die Nachlassverwalter reagierten immer mit Gewogenheit auf seine Anfragen und zeigten ihm in einer Führung wesentliche Örtlichkeiten. eine Zusage für das Projekt bekam er nie, und ebenso keinen ablehnenden Bescheid.