überflieger in spe
ohne Computer-Vernetzung und Handy war das Überleben nicht schwieriger zu meistern, eher missverständlich abenteuerlicher. in seiner Jugendzeit beschränkte sich die alltägliche Kommunikation auf eine Mundpropaganda. wenige Bekannte besassen ein Telefon und konnten es als geteilten Anschluss bloss zeitweise nutzen. die Leitungen der Fernmeldeämter waren in Stosszeiten überlastet und ihre Übertragungsqualität zudem berauschend undeutlich. den wichtigen Tratsch erfuhr man unmissverständlich in geselligen Runden, wo Wichtiges wie Nebensächliches unverblümt ausgetauscht wurde. davon profitierte der Geheimdienst Stasi ungemein, nur richtig genutzt hat es ihm wenig.
obwohl man ständig in einer Parallelwelt zur politisch offiziellen in den Zeitungen lebte, generierte sich das Private nicht zu einem singulären Dasein. es wurde unmittelbar in Kneipen und an Strassenecken geplauscht. man erfuhr dabei, welche Bücher man lesen sollte und welche Bar nach Mitternacht weiterhin ausschenkte. die Insider-Information war eine Droge und jeder durfte Dealer sowie Junkie sein, oder wie es heute heisst: Sender und Empfänger. solcherart blieben Bekanntenkreise auf dem Laufenden und konnten in einer Mangelgesellschaft bestehen. kompliziert war es freilich, die Kumpels oder eine liebenswerte Freundin ohne eine vorherige Absprache daheim zu erreichen. man musste am Abend wie ein Spion dorthin gelangen, falls die Klingelanlage, besonders in den Altbauten, nicht funktionierte. deshalb hing an seinem Schlüsselbund ein Dietrich, mit dem sich eine verschlossene Haustür öffnen liess. doch was nutzte es, wenn das Klopfen an der Wohnungstür ungehört blieb. war niemand zu Hause, konnte lediglich eine Nachricht oder ein lieber Gruss hinterlassen werden. dafür hing über der Klingel eine Papierrolle mit angebändeltem Stift. oder es reichte aus zu warten, da man hier las, wann die Freundin wieder heimkehrte. es wurde offen bekannt gegeben und die Nachbarn konnten es mitlesen.
die Kommunikationsmittel haben sich in seinem Leben permanent gewandelt und mit ihnen die Botschaften. in der Schule musste er mit dem Füller eine akurate Schönschrift schreiben. es gelang für Aufsätze oder offizielle Bekenntnisschreiben, wo formelhaft stets Gleiches formuliert wurde. bei selbst Ausgedachtem geriet es zur diffizilen Kritzelei. als er sich eine Schreibmaschine leisten konnte, leistete er sie sich und schaffte es, nach einem Monat mit zehn Fingern lesbare Gedichte zu tippen. damit war er prädestiniert für den freien Redakteursberuf und schrieb täglich seine zwei bis drei Beiträge, auf dass sie in einer Tageszeitung gedruckt wurden. mit dem Computer bewältigte er es noch einfacher, aber da arbeitete er nicht mehr als Journalist, sondern als bildender Künstler, der das digital Virtuelle mit all seinen Potentialen zu entdecken begann und nächtelang über vertrackte Codierungen brütete. daran hat sich nichts geändert, obwohl die Programmiersprachen sich gewandelt haben und komplexer wurden.