überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

in seiner Arbeits- und Lebestadt Berlin gibt es keine Berge, nur bebaute Erhebungen wie den Kreuz- oder Prenzlauer Berg. als Radfahrer bringen sie ihn ins Schwitzen und werden meist gemieden. ebenso das Gefälle der reputabelen Brunnenstrasse, wo Touristenbusse gern Kiezcharme zeigen. jene Mitte-Ost-Passage musste er einst wegen einer Flötenstunde seines Sohnes sogar bei Regen- oder Schneefall ertrampeln und bei der Rückfahrt gefährlich durchschlingern. für eine familiäre Rutschpartie auf einem Schlitten wählt er sich lieber Höhen in den Parks, in denen der Schutt vom zweiten Weltkrieg sich stapelt. da die Stadt ziemlich zerstört wurde, liegen einige vor, welche eine gute Aussicht auf die urbane Ebene bieten.
es fehlt der Hauptstadtist noch eine richtige Skyline, obwohl Star-Architekten eine solche seit langem hypermodern entwerfen. den Potsdamer Platz haben sie bereits in eine Steilvorlage verwandelt. mit schmalfenstrigen Bürotürmen ohne einen massstäblichen Bezug wurde das Areal, das man als Passant in zehn Minuten durchschreiten kann, zu einem Metropolen-Disneyland aufgeblasen. nun wollen international agierende Investoren den Alexanderplatz mit Hochhäusern für Banken und Hotels zubauen, damit es so aussieht wie in jeder Mega-City. eine festgelegte Traufhöhe hat solches bislang verhindert. in Wohnquartieren blieben Bauten auf eine Maximalhöhe von 22 Metern beschränkt. die Regelung stammt aus der Zeit der grossen Industrialisierung. sie garantierte ein gewisses Quantum Sonnenlicht für die Einwohner und vereinheitlichte angenehm das Stadtbild. ein Haus durfte nur so hoch sein, wie die Strasse breit war. seitdem Grundstücke in der Innenstadt enorm teuer sind und von internationalen Investment-Unternehmen aufgekauft werden, sollen sie wieder höher hinausragen. manche Bauherren wollen auf diese Weise angeblich Wohnungsprobleme lösen.
Berliner mögen keine extravaganten Wolkenkratzer, so sie niemand in seinem Kiez braucht und ein Fernsehturm zum hinaufgucken ausreicht. lange feierte man wilde Partys auf den Dächern von verfallenen Mietshäusern und das Frühstück danach wurde, während ringsum die Stadt erwachte, zu einem romantischen Ausklang. die Silhouette war eine demokratisch gleichhohe und noch nicht von klobigen Appartements mit luxuriösen Hochterrassen verstellt. doch das Beharren auf eine heimelige Gemütlichkeit will, dass es noch ein bisschen so bleibt, wie es in den schönsten Jahren hier mehrere Generationen erlebten. die Hauptstadt soll für Bohemiens grün und authentisch schmuddlig sein, überschaubar und zugleich für die eigene Abschottung preiswert. doch gegen Veränderungen ist in Zeiten der neoliberalen Finanzblasen kein Kraut gewachsen. auch Berlin wird sich schlechten Beispielen wie London oder Paris anwandeln und primär ein Ort für Touristen und jettende Besitzer von Eigentumswohnungen werden. die Frage ist nur, wie schnell oder wie langsam jener Wandel sich vollzieht.