mikado als symptom
ich bin ein schlechter Futterverwerter. bereits als Kind war ich unentwegt hungrig und verdrückte so gut wie alles, was angeboten wurde. sogar einen schleimigen Lungenhaschee der Schulspeisung. während meine Klassenkameraden jene Mahlzeiten abfällig verweigerten, holte ich mir noch einen Nachschlag und habe ein kollektives Naserümpfen erdulden müssen. nichtsdestotrotz versuchte ich mich vollzustopfen, wo und wann immer ich es konnte. nur man sah es mir nicht an, da mein Körper schmächtig blieb. der Kopf verbrauchte wohl alle Kalorien für seine Aktivitäten, welche daran bestanden, Schach zu spielen und mit Büchern sich vollzustopfen.
lange habe ich darunter gelitten, dass ich mit einem schlanken Körper einen grossen Schädel trug. er war schon nach der Geburt aussergewöhnlich proportioniert und meine Mutter hatte ihn anfangs für einen Wasserkopf gehalten. irgendwann musste sie akzeptieren, dass ich damit beste Leistungen in der Schule erzielte, als erster in der Familie das Abitur ablegte und später die Geisteswissenschaften studierte. nur brachte es mir wenig ein und ich konnte bei meinen Eltern, für die in erster Linie der monetäre Verdienst zählt, mit meiner Heranbildung keine Anerkennung finden. in meinem Leben habe ich trotz meines Fleisses immer zu wenig verdient. die Menschen um mich herum schafften es mit einer Anstellung und Nebenjobs zu einem kleinen Wohlstand. sie hielten ihr Geld zusammen, um sich ein nobles Auto und ein Eigenheim kaufen zu können. mir gelang es selten, bei einem stets defizitären Haushalten ein wenig Luxus zu schaffen. was ich bei fixen Kosten einsparte, verschwand immer gleich wieder. fiel der Winter mild aus und die Betriebskostenabrechnung niedrig, schlug es sich nicht langfristig auf den Kontostand aus. das zurücküberwiesene Geld wurde sofort für Bücher, Theaterbesuche oder Reisen ausgegeben.
Ökonomen lehnen solche Investitionen ab, sie verordnen bei einer schlechten Haushaltslage einer Volkswirtschaft Sparzwänge. der Kulturbereich leidet besonders darunter, da Kämmerer hier zuerst Gelder zusammenstreichen und immer bei Betroffenen, welche sich nicht zu sehr aufregen können, so sie über keine einflussreiche Lobby verfügen. in der Provinz war es lange Zeit leicht, Projektgelder und Förderstipendien zu erhalten. hier stach sich keine Konkurrenz aus und somit kam statistisch gesehen, jeder mal den Zuschlag. ich hatte es in der Lausitz dreimal hintereinander geschafft, eine Förderung zu erhalten, während die Kollegen nicht wussten, wo und wie sie die Anträge stellen mussten. leider war dies auch der Grund, dass ich meinen Umzug nach Berlin immer wieder aufschob. als ich es endlich bewerkstelligt hatte, bekam ich kaum noch ein Bein in eine hauptstädtische Vernetzung. aber im Grunde genommen wollte ich es auch nicht mehr.