mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

ein Trinkgeld passend zu geben ist keine einfache Sache. es darf nicht zu hoch und nicht zu geizig ausfallen, so es in beiden Fällen beleidigen kann. mitunter wird deshalb keins in der Gastronomie überreicht, und besonders dort, wo die Preise exorbitanter werden. in Berlins Mitte ist es kein Malheur, selbst für schlechtbezahlte Kellner, solange es andere ausreichend vermögen. meist sind es Touristen, welche sich damit die Bestätigung für eine tolle Laune in bester Atmosphäre herbeizelebrieren. wer zu viel Geld zum Leben hat, bestimmt selbst, dass er zufrieden ist. das kann richtig adeln, ist eine distinguierende Geste, auch in den asiatischen Ländern inzwischen. nur in Japan noch nicht, wo es weiterhin als würdelos gilt, mit Geld jemandem zu danken.
zu Hause muss nur gelegentlich das Mahl gelobt werden, insofern selbst gekocht wird. bei vielen Freiberuflern reicht die Zeit dafür nicht. so bringt ein Bote die Nährung nach Hause. bei den einen aus dem Feinschmecker-Restaurant und bei anderen preisgünstig vom Chinesen bzw. der Inder-Kette. er sieht viele Kuriere schon am Morgen mit ihren kastenförmigen Rucksäcken durch die Innenstadt radeln. sie tragen das Frühstück aus oder den ersten Lunch für Frühaufsteher. lange Zeit waren es die kranken Alten, die ihr Essen abgepackt geliefert bekamen. sie konnten nicht mehr kochen und bei einer niedrigen Rente unter der Woche kein Restaurant aufsuchen. Szene-Künstler in der DDR verdienten sich mit jener Fürsorge, organisiert von der Volkssolidarität, einen Lebensunterhalt und wurden dabei für die ältere Generation zu letzten Gesprächspartnern. befreundete Maler jobbten so, indem sie zwei, drei Stunden täglich als soziale Dienstleister wirkten. sie waren darauf angewiesen, weil sie ohne Mitgliedschaft im staatstreuen Künstlerverband keine öffentlichen Aufträge erhielten. mancher wurde von den alleingelassenen Alten, wo keine Erben in Frage kamen, reich beschenkt. er erhielt dann zum Beispiel die Gesamtausgabe der Horen, welche in Antiquariaten für bis zu 5000 Mark gehandelt wurden. mit solch einer Rarität im Bücherschrank war die eigene Armut zu ertragen.
jetzt sind es Aufstocker und Studenten, die für global organisierte Essenslieferanten als Boten jobben. mancher trainiert hier den zukünftigen Arbeitsablauf, da es für ihn wohl nur etwas mit Service geben wird und derweil als unpersönlicher Service meist kein Trinkgeld. ebenso leer geht der Paketbote aus, und manche Empfänger wundern sich, dass sie nur Benachrichtigungen im Briefkasten vorfinden und zum nächsten Postamt laufen müssen. die Zusteller kommen als schlecht bezahlte Dienstleister nicht mehr dazu, in jedes Hinterhaus zu laufen. irgendwann werden Drohnen ihre Arbeit übernehmen und geduldig alles ausliefern, ohne auf ein Trinkgeld angewiesen zu sein.