mikado als symptom
gestern wurde seine alte, seit langem unbenutzte Waschmaschine professionell entsorgt. ein schmächtiger Mann hat sie mit einer elektrischen Treppenkarre in einen Laster transportiert. aus dem vierten Stockwerk wurde das schwere Gerät Stufe für Stufe getriggert und musste wenig ausbalanciert werden. in seinem Single-Dasein leistete sie ihm ausdauernd ihre Dienste und das Drehen der Wäschetrommel war ein entspannend meditativer Background in seiner Küche, wo viel gemalt, geklebt und getextet wurde. die Maschine konnte, falls sie nicht laut klapperte, als Fernsehersatz dezent ablenken. bei einer sanften Feinwäsche brachte sie trübe Gedanken in ein kontemplatives Rotieren. er musste sie dafür bloss anschauen, sich nicht in die Trommel legen und durchschleudern lassen. bei der Fernsehsendung "Wetten, dass" wurde von einem Kandidaten mal vorgeführt, wie solches konkret zu bewerkstelligen ist, aber vor Nachahmungen gewarnt.
in seiner ersten Wohnung hat er noch ohne eine Maschine die schmutzige Wäsche in Eimern eingeweicht, mit der Hand ausgewrungen und in der Badewanne dann gespült. das hat die Muskeln gestärkt und ihn vor Sehnenproblemen lange bewahrt, nicht jedoch vor schwermütigen Löchern. immer öfter braucht es dann ein anderes Training. zu träge fliessen ohne Abwechslung die Stunden dahin. bei einer nervenden Langeweile hilft kein Abschalten. der Kampf gegen die Langeweile ist nur mit einem endlosen Umschalten zu gewinnen, von einem Ausstellungswechsel zum nächsten, zu einem neuen Buch oder in einen Chat-Room, um in den Genuss virtueller Verführungen zu kommen. ein bleibendes Gefühl der Befriedigung stellt sich dabei selten ein. die mediale Wirklichkeit hat die zu lebende aufgesogen. wenn die Unterhaltung und die Langeweile synonyme Beziehungen eingehen, sind kaum Alternativen zur simulierten Wirklichkeit zu erwarten. um seine Laune auf Trab zu bringen, muss er den Schreibtisch oder ein Zimmer aufräumen, um Dinge zu finden, die er seit langem vermisst.
zur Konzentration kommt er erst in einer gediegen aufgeräumten Atmosphäre. die Transpiration darf durch kein Suchen und keine Störgeräusche unterbrochen werden. oft muss er sich eine solche Atmosphäre imaginieren. der einzige Zustand, der in einer lärmenden Gesellschaft ausgiebig inspiriert, ist wohl eine stoische Ironie. mit ihr ergeben sich Versenkungen und unendliche Betrachtungen, während die Zeit unmerklich verrinnt. im Gespräch mit sich selbst schmiedet er erratische Pläne, formuliert Unverständliches, um dagegen oder dafür zu sein. erhebend ist ein solches Brainstorming, wenn hinter jeder Geschichte eine andere steckt und Räume für Assoziatives sich eröffnen. die grandiosen Einfälle spriessen freilich erst, wenn es einem richtig schlecht geht und die Wut im Bauch als Agens antreibt. er braucht solche Verstimmungen fatalerweise häufiger.