überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

wer in der Kunst mit spätestens 40 keine Erfolge vorzuweisen hat, kann sich seinen Traum von einer Karriere abschminken. er bekommt weder Förderungen noch Nachwuchspreise. auch wird er von Galeristen ignoriert und nicht mehr zu eminenten Gruppen-Ausstellungen eingeladen. es werden junge Talente protegiert und in den Galerien bevorzugt ihre Bilder gekauft, so sie Perspektiven für Weiterverkäufe versprechen und von keiner ansteckenden Schwermut getrübt sind.
um das Leben weniger prekär bestreiten zu können, wird im gesetzten Alter in die profane Dienstleistung gewechselt und, falls wer über genügend Computer-Kompetenzen verfügt, der Beruf eines Werbemenschen ausgeübt. mancher weicht in den pädagogischen Bereich aus und plagt sich als Zeichenlehrer an einer Schule. die Hoffnung, dass mit einem Brotjob nebenbei Grandioses in der Kunst zu stemmen sei, wird nicht aufgegeben, auf unbestimmte Zeit verschoben. nur wer ausgepowert nach Feierabend in einem Atelier werkelt, kommt einzig noch in seinen Träumen zu verrückten Einfällen.
also lieber kein monatliches Geld verdienen und weiter bescheiden für die freie Kunst arbeiten. in seinem Bekanntenkreis hält mit jenem Anspruch noch mancher die Stellung, steht allerdings als verkannter Künstler unter erheblichen Rechtfertigungsdruck. er muss jede sich bietende Gelegenheit zur Präsentation nutzen, damit die Familie und die Freundeskreise das Weitermachen ernst nimmt. es werden unprätentiöse Erfolge angepeilt, skrupellos Trends nachgeahmt. man mag sich jenen Pragmatismus nicht gern ansehen, da man wahrscheinlich auf zu abstrakte Elaborate stösst. talentierte Menschen, die lange mit einer streitbarer Unnachgiebigkeit hehre Ziele anvisierten, haben sich mit über 40 in einer Nische eingerichtet und mit kleinen Verdiensten arrangiert. aus der radikalen ist eine selbstgefällige Haltung geworden, die sich in unbedeutenden Vereinsgalerien, in einer Arztpraxis oder einem Anwaltsbüro vorführt. das pragmatische wird in diesem Umfeld trotzdem als Held gefeiert, welcher der kuratorischen Ignoranz trotzt.
damit muss er sich nicht arrangieren. seine Familie akzeptiert die für sie fremde Kunst als sein Rückzugsgebiet. er darf hier vor sich hinbrüten und, was ihm zuweilen gelingt, gratis im Internet offerieren. dass er wegen einer ausbleibenden Retrospektive kein vorzeigbarer Künstler ist, mit dem man angegeben kann, stört nicht. es wird eher begrüsst, dass er ohne öffentliche Triumphe ein unscheinbarer Mensch bleibt. wacker darf er Adornos Diktum erfüllen, nach dem erst in der Unabhängigkeit sich eine Kunst behauptet, die eine eigene Welt hervorbringt. in seinem poetischen Wolkenkuckucksheim ist er nicht kleinzukriegen, sondern auf Sprüngen unentwegt zum nächsten Stein unterwegs, wo es einzig dem Wind Leises zuzuflüstern gilt.