überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

an drögen Kneipenabenden kann er sich stundenlang mit den Mustern von Tapeten beschäftigen. oder er zählt die Streichhölzer in einer Schachtel so lange, bis sein Ergebnis mit der Angabe auf der Verpackung übereinstimmt. es ist bei zwei, drei gezapften Bieren ein kontemplativer Ausgleich nach einer aufreibend anspannenden Arbeit oder der Ausgangspunkt für eine neue Idee. gelangweilt hat er sich oft in seinem Leben und sinnlos vertrackte Stimmungen faszinieren ihn seit jeher. manche lösen Kreuzworträtsel oder das verzwickte Sudoku, er möchte hingegen an flauen Abenden gar nichts lösen, einfach das kompliziert Vorliegende auskosten, obwohl es, wie manche Programmierer meinen, für jedes Problem eine Lösung gibt.
triviale Zustände sind auszuhalten, wo man ein Leben lang mit Sinnkonstruktionen konfrontiert wird. sie wandeln sich als unhinterfragbare Notwendigkeiten zu persönlichen Gewohnheiten oder sozialen Strukturaffinitäten. der Schriftsteller Chlebnikow hat komplexe Zusammenhänge mit der Zahl 317 metrisiert und dabei ad absurdum geführt. er fand heraus, dass die Geschichte durch simple Multiplikationen rhythmisiert wird. die Gesetze Napoleons wurden zum Beispiel in 317x4 Jahren nach dem Codex Iustinianus eingeführt und das Deutsche Reich folgte nach sechs mal 317 Jahren dem Römischen Kaiserreich. Kriege, Revolutionen und Staatsgründungen lassen sich, mithin sie in zyklischen Verhältnissen zueinander stehen, für den russischen Futuristen auch durch Konstanten wie den Herzschlag einer Frau oder die Schritte eines Infanteristen aus dem ersten Weltkrieg teilen. so verbinden feste Intervalle jeden und schaffen als Schwingzyklen ganzheitliche Korrelation. mit mathematischen Einsichten wird man ein Mystiker oder ein Dadaist. das Triviale ist für beide der Kontrast zum chaotisch Determinierten und umgekehrt.
in den Naturwissenschaften haben universalistische Theorien ihre Verbindlichkeit verloren, und dennoch wird an dem Ideal von einer allumfassenden Geordnetheit festgehalten. über Jahrzehnte versuchte Albert Einstein eine Weltformel für das Universum aufzustellen und blieb dabei erfolglos. der prominente Astrophysiker Stephen Hawking erteilte dieser Hoffnung nun endgültig eine Absage. der prominente Astrophysiker glaubt nicht mehr, dass eine vereinheitlichte Theorie alles erklären könne. für ihn dürfen aber auch keine elementaren Informationen in schwarzen Löchern verloren gehen. also genau genommen ebenso wenig der Anspruch von einer Weltformel und wohl noch weniger die entmutigende Feststellung, dass nichts stimmig ist, nichts zueinander und schon gar nicht in den eigenen Schädel passt. wenn einem allzu Irritierendes durch den Kopf schwirrt, ist man dankbar für jede Ablenkung aus der Nachbarschaft, die entweder mit lauter Musik oder einem handwerklichen Fleiss ein zu intensives Nachdenken verhindert. das Denken braucht, damit es nicht in abgründigen Paradoxien strandet, ab und an entleerende Fluktuationen. ansonsten umkreisen Gedanken irgendwann nur noch einen blinden Fleck.