überflieger in spe
am Frauentag verschenkt er keine Blumen, er geht zu einer Kundgebung, um bei Regen oder Sonnenschein stoisch für eine feminine Emanzipation einzustehen. auch gehört er nicht zu den Männern, die vor Frauen bei jeder Gelegenheit den Kavalier spielen und damit ihre Position als dominierendes Geschlecht untermauern. seit seiner Jugend ist er ein bekennender Feminist, der einer Weiblichkeit keine Tür galant öffnet und Witze von Machos nicht lustig findet, also sich outen muss und dafür verdutzt oder abwehrend angeblafft wird. das kann verstimmen und zur sozialen Isolation führen. aber trotz mancher Missbilligungen gelingt es einem Mann, ein Feminist zu sein. man kann mit dem anderen Geschlecht besser mitfühlen und sich überraschender zu Wort melden, wo Geschlechter-Klischees narzistisch bedient werden. ihn treibt hierbei kein Mitgefühl, sondern der pure Egoismus an. er verkehrt lieber mit Frauen, die es selbstbewusst eigensinnig sind. somit leidet er nicht unter Partnerinnen, die fortwährend etwas konsumieren und die er wegen einer hysterisch aufgetragenen Schminke nicht küssen will. bereits als Junge spielte er gern mit Mädchen, die burschikos rumtobten.
schwer fällt es ihm zu verstehen, warum Frauen ihren Körper mit Kosmetik zu einem Optimierungsapparat degradieren. als Feminist sucht er nach Zusammenhängen zwischen latenten Diskriminierungen und nachgelebten Rollenbildern, welche sich zu Disziplinierungen generieren oder destruktiv gegeninszenieren. dass ein Geschlecht nicht per se kategorisch fixiert ist, zeigt sich in Krisenzeiten, wenn das gesellschaftliche Gefüge ins Wanken gerät. so hat sich seine bis zur Rente hart arbeitende Oma ganz unschick die Hosen von ihrem Mann umgenäht und trug sie stolz durch die Aufbaujahre. sie verstand es, sich als heimliches Familienoberhaupt zu profilieren. in harten Kriegszeiten hatte sie allein zwei Kinder versorgt und in Bombennächten in Luftschutzkeller getragen. sie rühmte sich, drei mächtige Männer überlebt zu haben, den Kaiser Wilhelm, den Hitler und einen Ulbricht. nur den ebenso missliebigen Honecker hat sie nicht geschafft. ihr Mann nannte sie gern abwertend Mannsweib, um das letzte Wort zu behalten.
seine Mutter wollte mit ihrem Drang zur narzisstischen Selbstbestimmung anders leben und war dabei wenig erfolgreich. sie durfte als Chef-Sekretärin fein gekleidet die Grand Dame spielen und musste zu Hause allein einer Familie aufwarten. ihre Männer haben sich bei der Hausarbeit völlig zurückgehalten, obwohl es keine verbindlichen Geschlechter-Differenzen, keine Korsetts und Vatermörder mehr gab, nur die überlieferte Vorstellung von verbindlichen Geschlechterrollen. mit ihrer Arbeit leistete seine Mutter sich eine kleine feminine Unabhängigkeit, die sie durch eine vorgetäuschte Anpassung behaupten konnte. dreimal hat sie sich scheiden lassen, um immer wieder als Alleinerziehende an Alltagsproblemen zu verzweifeln. er hat unter ihrem Stress ungemein gelitten und sich von seiner Kindheit früh verabschieden müssen.