überflieger in spe


(eine versuchte selbstheit)

mit Kerouacs "On the Road" trampte er an Wochenenden als Hippie durch das Land. er hatte viele Brieffreundschaften und somit in einigen Städten eine Schlafgelegenheit. bei seinen Reisen traf er unentwegt auf Freaks, die wie er das Gefühl der Ungebundenheit suchten. er fuhr mit ihnen schwarz mit der Bahn zu Konzerten, was selbst auf langen Strecken gelang, da die Schaffner nicht eifrig waren und man sich in einer Toilette gut verbergen konnte. ein Kontrolleur steckte hier wegen dem zu erwartenden Ausdünstungen nicht freiwillig seine Nase hinein. vorsichtshalber wurde der Spiegel über dem Waschbecken entfernt, damit er keinen Einblick in den hinteren Winkel bot. es war ein aufregendes Unterwegs-Sein und brenzlig wurde es nur einmal beim Trampen, nachdem er auf einer Autobahnauffahrt zwischen Weimar und Leipzig mit einem Sonnenstich in einen VW-Bus einstieg und plötzlich auf einer Transitstrecke zu einem potentiellen Republikflüchtling wurde. er reiste mit Studenten aus dem Schwabenland, und man erkannte die heikle Situation erst, als der Fahrer auf der Autobahn nicht mehr anhalten konnte. es wurde heftig diskutiert und nach einem Ausweg gesucht. er musste sich abducken und stieg bei der nächsten Tankstelle aus. zu seinem Glück hat es keine Überwachungskamera der Staatssicherheit und kein Kontrollposten bemerkt.
das Vagabundieren hatte preiswert zu sein, vor allem wenn es im Sommer in den Osten ging. bei einem Zwischenhalt in Budapest, für den begrenzt die DDR-Mark in Forints umgetauscht wurde oder auf dem Schwarzmarkt zu einem Wucherpreis, war ein solcher Anspruch schwer umzusetzen. in der Donau-Metropole wurden Originaljeans oder West-Schallplatten gekauft und dafür Ausgaben beim Essen sowie Schlafen gespart. das Nächtigen liess sich bei lauen Temperaturen im Freien oder auf einem kostenlosen Campingplatz bewerkstelligen, den die Stadtverwaltung als Lager für obdachlose Touristen betrieb. früh um sechs beendete eine Polizeisirene das Schlafen unbarmherzig. alle mussten ihre Zelte abbrechen oder, falls sie auf bereitgestellten Strohsäcken schliefen, sofort aufstehen. der Ausweis wurde einem am Tag zuvor abgenommen und man erhielt dafür eine Marke mit einer Nummer. es wurde gewohntermassen akzeptiert und als Ausgleich erwarteten einen die wunderbaren Thermalbäder in der Stadt, die Donauinseln oder die Parks auf den Budaer Bergen. am späten Abend versuchten Tramper dort wieder zu nächtigen und wurden von der Polizei geweckt, um erneut in dem ominösen Lager zu stranden.
waren die Forints restlos ausgegeben, fuhr er mit einer Fahrkarte in überfüllten Zügen nach Hause, und meist eher als geplant. wer Glück hatte, ergatterte einen freien Platz in einem Abteil. die es nicht schafften, mussten im Gang hocken und unentwegt aufstehen, als es nach und nach die Reisenden in die Mitropa zog, die kurz vor der Grenze einen Imbiss für tschechische Kronen anbot. er war gern so improvisiert unterwegs, es war unbequem ein Unterwegssein ohne Ziel und Sinn. Kerouacs "On the Road" wurde immer wieder durchgelesen, bis das Taschenbuch zerfleddert abhanden kam.