petting des ich
es wird in Talk-Shows lauter über ein selbstbestimmtes Ende disputiert und mit
religiösen oder juristischen Argumenten heftig darüber gezankt. die
Alten siechen in Pflegeheimen zu lange dahin. eine moderne Apparatemedizin heilt
nicht nur besser, sondern verlängert ebenso Krankheiten bei einer steigenden
Lebenserwartung. das ist teuer
sowie moralisch bedenklich, wo dem Körper und Pflegepersonal hartes zugemutet
wird. die Leidenden kommen zu keinem Ende, seitdem Magensonden und andere Sondierungen vorliegen,
welche ein erbärmliches Dahinvegetieren aufrechterhalten. gegen anhaltende
Schmerzen werden Drogen verabreicht, die andernfalls verboten
sind. der Mensch darf nicht in Würde abtreten. ein freier Wille ist bei
schwerer Krankheit kein freier mehr, da er sich kaum noch artikulieren kann
und als nicht zurechnungsfähig gilt. wer ein Ende abkürzen will, muss es
urkundlich hinterlegen, und somit erklärt er hiermit unmissverständlich, dass er
für einen Abgang ohne Aufschub ist, also gegen ein Martyrium ohne Ende.
ein Abschied für immer stand zu allen Zeiten selbst in religiösen Kulturen zur Diskussion.
heimlich war es ein Sterbefasten, der freiwillige Verzicht auf Nahrung. oder man gab
sich einfach die Kugel, wie unlängst der
sympathische Bestseller-Autor Wolfgang Herrndorf, der an einem unheilbaren
Hirntumor litt. Seneca, David Hume und viele Denker der epikureischen Tradition
haben den Suizid befürwortet. Platon, Augustinuns, der Aquinate, Hegel und
Kant waren strikt dagegen. Philipp Mainländer hat wiederum einen universalen
Willen zum Tode proklamiert und dafür eine breite Aufklärung gefordert. jeder
kann sich die ihm genehmen Argumente heraussuchen. die entscheidende Frage, ob
das Leben erfüllt ist oder ob es weiter zu füllen sei, bleibt individuell zu
ergründen. wurde es bisher nur halbwegs gefüllt, ist es entweder halbvoll oder
halbleer, also auf jeden Fall unvollständig und es muss weitergehen mit dem
Weitergehen.
vor einem Abtreten sollte unbedingt ein Haus gebaut, ein Kind grossgezogen und ein
Baum gepflanzt werden. Montesquieu hat es in seinen Persischen Briefen als
Soll vorgegeben. nur ist es wirklich ausreichend? Hausstände hat er bereits
ein paar gegründet und leidlich abgelebt, zwei Kinder nennt er sein eigen und
Bäume wurden in einer ökobewegten Jugendzeit genug gepflanzt.
darüber hinaus ist bislang wenig Weltbewegendes zustande gekommen. er
schont sich und hat die Hoffnung auf künftige Höhenflüge
nicht aufgegeben. beim morgendlichen Rasieren sind trotz
vorgerücktem Alter zu wenige Falten zu entdecken. die Pläne werden deutlicher
und ungenauer. das heisst, deutlicher in ihrer Ungenauigkeit. eine solche
Exzentrik hält das Hoffen auf Besseres aufrecht, allerdings unter der Bedingung, dass
die Zuversicht, wenn der Zenit überschritten ist, umso mehr mit Defiziten
konfrontiert wird. unumstösslich an Tagen, an denen man nicht vorkommt,
sondern bloss verkommt.