mikado als symptom
es wird nie so heiss gegessen wie gekocht. er beherzige es am Tisch, hat sich aber bei Gesprächen danach schnell den Mund verbrannt. ihm fällt es schwer, in einer Konversation zu bestehen. mit seiner Spontanität verprellt er nachhaltig Gesprächspartner und muss sich rechtfertigen oder gehörig zurückrudern. er sollte sich das freie Reden verbieten und diskreter Meinungen verlautbaren, damit er Menschen nicht ungewollt in Verlegenheit bringt. bei inneren Monologen ist ihm solches selbstverständlich, beim leutseeligen Palavern indes keine Absicht. von Satirikern wird erwartet, dass sie provozieren und manche Verstocktheit auflösen. permanent brechen sie Tabus und berufen sich auf Tucholsky. mit den dümmsten Plattitüden überbieten sie sich und ziehen, damit alle merken, dass es Satire ist, jede Gelegenheit durch den Kakao.
es wird mit Missverständnissen gespielt, um ein breites Publikum zu erreichen, das als Kitzel die permanente Überdosis braucht. unlängst geriet dabei eine Entgleisung bei einem Entertainer zu einer argen Beleidigung des türkischen Präsidenten Erdogan. der Regierungschef hätte es einfach ignorieren können, stattdessen wollte er als gekränkte Eitelkeit zurückprovozieren und einen Staatsakt daraus machen. die mediale Schwarmintelligenz freute sich über die folgenden diplomatischen Verwicklungen. solche Attitüden sind unterhaltend oder ein Schenkelklatsch-Theater, das nichts anderes als eine angenehme Beschwichtigung bleibt. in einem ostdeutschen Kabarett wurde mit zweideutigen Wortspielen gegen die Unzulänglichkeiten des sozialistischen Alltages opponiert, und jeder wusste, weil trainiert im Witze-Erzählen, was gemeint war.
ihm sind nie Witze in geselligen Runden eingefallen. er kann allenfalls welche schlecht nacherzählen und als ernster Mensch selten über dargebotene lachen. meist ist die Pointe zu offensichtlich, so dass sie ihn eher verunsichert. seit seiner Jugend leidet er an einer Eibohphobie, der vor- und zurückspringenden Angst, dass wo versteckt ein Doppelsinn als Symmetrie lauert. es sind die zwiespältigen Bedeutungen, welche ihn als Palindrome irritieren. er kann sie ebenso wenig wie sein Double im Spiegel akzeptieren, das seitenverkehrt nicht dem Original entspricht. der Scheitel liegt rechts anstatt links. somit sehen ihn andere nie wie er es gewohnt ist. falls es umgekehrt dasselbe scheint, ist es egal, was seitenverkehrt oder hinten rauskommt. linkswärts oder rechtswärts Schlagzeilen lesen zu können, macht einzig Sinn, falls es einen Sinn ergibt. bleibt dieser das Nämliche, wie bei variiert wiederholten Nachrichten oder zusammenkopierten Leitartikeln, läuft ein Perspektivenwechsel ins Leere oder ruft eine Spiegelfechterei hervor. wer ein richtiger Kritiker sein will, braucht einen archimedischen Punkt. er muss sich die Welt vom Leibe halten, um sie anzuschauen, ohne von ihr gefangen zu sein.