mikado als symptom
die Sommer werden heisser und das Befinden braucht häufiger im Schatten eines Waldes eine Abkühlung. am besten unter Bäumen an einem See ohne Motorboote und schrilles Badevolk. seine Familie hat sich im letzten Jahr eine Hütte in einem solchen Ambiente zugelegt. dort kann er den ganzen Tag unbekleidet in einer Hängematte dösen und wird mit den kleinen und grossen Leberflecken auf seiner Haut konfrontiert. sie mehren sich und wollen gedeutet werden. als Muster ergeben sie keine interpretierbaren Konstellationen, keine zeichenhaften Formen oder Linien, die Zukünftiges offenbaren. also hält er sich an die Klima-Experten, die von einer steten Erwärmung ausgehen, und hofft für das ungestörte Arbeiten auf einen verregneten Siebenschläfer. dann sind die nächsten Wochen gekühlt von Wolkenentladungen angenehmer am Schreibtisch zu ertragen.
in seiner Schulzeit ersehnte er sich einen warmen Sommer, weil er ein Hitzefrei versprach. der Juli war noch nicht nachhalteig heiss und garantierte dennoch Auszeiten. die Lehrer erhofften sie ebenso. sie mussten als wohl einzige Berufsgruppe sechs Tage in der Woche arbeiten, da auch jeden Samstag gelernt wurde. das Hitzefrei brauchten sie mehr als die Schüler, insofern ihre Kreislaufprobleme stärker unter hohen Temperaturen litten. fü,r junge Gemüter reichte es aus, in der Pause ein Eis zu schlecken. um bei glühender Sommerhitze in den Genuss von etwas Kalten zu kommen, stand man sogar Schlange. als seine alte, stets wohltemperierte Schule renoviert wurde, zogen alle Klassen in einen Neubau mit dünnen Betonmauerwerk. dort war die Sonne wie in einem Brutkasten wirklich unerträglich. ohne den Schutz von Bäumen strahlte sie durch die Fenster. ein Hitzefrei wäre unter diesen Bedingungen fast täglich angebracht gewesen. doch galt nicht die gefühlte Innenraum-Temperatur als massgeblich, sondern das Messen im schattigen Aussenraum.
nach der Wiedervereinigung war der sechste Wochentag kein Schultag mehr und ein Hitzefrei selten zu haben. dafür unterbrachen regelmässig in der Prüfungszeit anonyme Bombendrohungen den Unterricht. die Feuerwehr rückte mit der Polizei an und evakuierte aufwendig Schulen. so konnten sich Faulenzer drücken und hatten noch ihren Spass dabei. es funktionierte nur so lange, bis man die ersten anonymen Anrufer ausfindig machte und ihre Eltern zu einer gehörigen Strafe verdonnerte. die Schüer konnten bei einer besseren Datenüberwachung schnell ermittelt werden, so dass bald keiner mehr den Mut zu derartigen Streichen aufbrachte. genutzt hat es letztendlich wenig, denn echte Anschläge von Amokläufern konnte die Polizei in den nächsten Jahren nicht verhindern. auf solche Ernstfälle war sie nicht vorbereitet.