mikado als symptom


(eine vage klarstellung)

ein überzeugender Angeber war er nie. schon in der Schule konnten es andere besser. sie hatten schicke Klamotten, Westplatten und ein bestechendes Ausdrucksvermögen, wenn sie über erste Liebesabenteuer berichteten. es spielte keine Rolle, dass es nur fiktive Begegnungen waren, sie wussten immerhin Bescheid. er konnte da nicht mithalten und nach der Jugendweihe nicht einmal mit einem Trinkvermögen punkten. nach dem dritten oder spätestens vierten Schnaps begann er zu lallen. und wenn nicht, hatte er in geselligen Runden auch nüchtern wenig zu sagen. er braucht zum Nachdenken zu viel Zeit. das ist beim Schreiben ein Vorteil, beim Reden eher eine hemmende Deprivation. fällt ihm etwas ein, schreibt er es nachträglich als späte Genugtuung für sich auf. er muss nicht ad hoc mit Geschichten überzeugen, um das Selbstbewusstsein zu stärken.
unter jungen Männern war es nach der Armeezeit üblich, sich mit Anekdoten zu schmücken. es wurden erlittene Erniedrigungen mit einer bemerkenswerten Pfiffigkeit nachträglich überspielt. man war der clevere Rekrut, welcher alle überlegen austrickste. er blieb bei der traurigen Wahrheit und gab ungeschmückt zu, dass er die Kasernenzeit als Loser erlitt. Mädchen waren auch damit zu beeindrucken und vor allem die interessanteren. als Antiheld hat ein junger Mann mitunter bessere Chancen beim Flirten. das hatte sich in seiner Jugendzeit noch nicht herumgesprochen, so dass wenig Konkurrenz auszustechen war. in der Kunst konnte er mit seiner Zurückhaltung hingegen wenig punkten. bei zu viel Rivalität gelang es ihm selten, mit seinen Angeboten zu triumphieren. dabei ist es ganz einfach, irgendwo seine Bilder zu platzieren. es gibt dafür so viele Galerien wie noch nie und darüber hinaus Geschäftsräume, welche sich gern mit aufgehängten Leinwänden schmücken. ein verschlagener Angeber zelebriert und inszeniert sich überall als Star. er macht jede Situation zu einer Show und entwickelt eine Virtuosität darin, selbst peinliche Eigenarten als Talent darzustellen.
lange meinte er, dass die Kunst für Verpeilte wie ihn ein probates Mittel sei, um die eigene Phantasiewelt auszuleben. doch weit gefehlt. man kann zwar aus seinem Leben eine instabil sensible Geschichte machen, es darf freilich in ihr nicht zu viele Tiefpunkte geben. sie sind kontraproduktiv und überzeugen, so es an erfolgreichen Kontrasten fehlt, kaum. Immobilienmakler wissen das. sie zeigen ihren Kunden am Anfang die schlechten Objekte und danach immer bessere. dabei ist es letztendlich egal, in welchem Gehäuse eine innere Tristesse sich zuhause fühlt. als ein unscharfes Wesen besteht er auf asymptotische Lebensphasen und in aussichtslosen Momenten flüstert ihm gelegentlich ein Engel ins Ohr, was zu machen sei. selbstlos nimmt er keine Rücksichten mehr auf andere Rücksichten.