inter lineam letterarum | virus | staatsbibliothek berlin [1999]
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fingierte karteikarte alphabetischer katalog

in einigen öffentlichen bibliotheken ist der zettelkatalog noch eine unübersehbare tatsache. er verkörpert recht anschaulich den gesamten bestand der in magazinen und regalen vorliegenden literatur. ein gesuchtes buch muss allerdings hier, bevor man es ausleihen kann, erst auf karteikarten aufwendig gesucht und mit seiner signaturnummer bestellt werden. mit dem computer, der allmählich das klassische archivieren ersetzen wird, geht es bereits in manchen leihbüchereien viel einfacher.

in der neuen Berliner Staatsbibliothek am Kulturforum wurden bisher nur bücher des neuen bestandes online oder auf mikrofiche verzeichnet. für den altbestand liegt noch ein alphabetischer zettelkatalog vor. in ihm haben wir 1999 einen virus mit 64 fingierten karteikarten installiert. durch fiktive autorennamen und querverweise versuchten wir eine topografische struktur zu generieren, die sich in der vorstellung als ein sechsdimensionaler hyperwürfel versinnbildlichen kann. man musste dafür nur auf eine unserer einträge stossen und dann den angegebenen verbindungen von zettelkasten zu zettelkasten folgen.

mit den eingeschleusten karteikarten wurden in den katalog gemäss der alphabetischen ordnung autorennamen oder begriffe eingefügt und, wie bei verwandten einträgen üblich, mit einer referenz auf andere namen verortet. alle einfügungen bezogen sich nicht auf den ausleihbaren archiv-bestand, sondern nur auf weitere manipulierte karteikarten und bildeten somit ein selbstreferentielles system. in ihrer verzweigten und komplex dimensionierten form war die arbeit nur im detail erkennbar und damit auch schwer zu entfernen.

bibliothekare haben sich bisher nur zögerlich für das bequemere recherchieren am computer entschieden. entweder trauen sie der neuen technik zu wenig zu oder sie bangen um ihren arbeitsplatz. bald ist es aber kaum noch vorstellbar, dass sie ohne software auskommen werden. obwohl recherchen im zettelkatalog mühselig sind, haben sie jedoch auch vorteile. mit online-abfragen erhält der nutzer nur eine literatur gemäss ihrer indizierung. da der überblick dabei verlorengeht und mit einer software nur begrenzt wild gestöbert werden kann, bleibt manches, vielleicht sehr vieles hier unbemerkt.

© Frank Richter | Uta Freese